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Unicum und die ungarische Gastfreundschaft

Anna • Okt. 11, 2021

Wir nehmen Einladungen Ernst, auch wenn man dafür 1000 km fahren muss!

Nachdem uns die Krissi leider verlassen musste, haben wir – nach einer ordentlichen Mütze Schlaf aufgrund des gemeinsamen Abschlussabends – die Stadt ein wenig zu Fuß erkundet. Budapest ist eine beeindruckende Mischung aus Prunk und Heruntergekommen. Besonders im Zentrum der Stadt kann man sich gar nicht satt sehen an den vielen Gebäuden und Monumenten. Je weiter man allerdings in die Randbereiche kommt (wo auch Rusty auf einem bewachten Parkplatz residierte) desto ärmer und heruntergekommener wirkt das Stadtbild. Budapest besteht eigentlich aus 2 Städten: dem grünen, hügligen Buda und dem flachen urbanen Pest, getrennt durch die Donau und verbunden über einen Haufen wunderschöner Brücken. Unser Stadtrundgang führte uns durch beide Stadtteile und endete am Stadtrand bei einem kleinen Langos-Laden.

Wer Langos nicht kennt: Frittierte Teigfladen mit Knoblauchöl, Schmand und Käse – Geil! Der Laden hieß „Mama Langos“ und war uns irgendwie sympathisch. Also rein mit uns! Drinnen waren kaum Platz für mehr als 3 Personen vor dem Tresen. Hinter Besagtem standen zwei Personen. Ein junger Mann und eine nicht mehr ganz so junge Frau. Der Laden wirkte sehr authentisch und der Langos war der Wahnsinn! So lecker, dass wir gleich nochmal nachbestellten und so auch mit dem Mann ins Gespräch kamen. Das Duo stellte sich als Großmutter und Enkel heraus. Eine richtige Arbeiterfamilie, in der das Konzept des Ruhestandes auf wenig Verständnis traf. Die Großmutter hätte schon länger aufhören können zu arbeiten, als wir beide zusammen überhaupt je gearbeitet haben, aber davon wollte sie nichts hören. Was soll man denn den ganzen Tag tun ohne Arbeit? Diese Ansicht würde ich zwar nicht unbedingt teilen, aber ich will mich nicht beschweren, denn aufgrund ihrer Einstellung haben wir den besten Langos der Stadt gegessen und zwei sehr sympathische Leute kennen gelernt.

Am Abend unserer kleinen Tour trafen wir auf der Straße zufällig den Shlomi wieder. Shlomi ist aus Irsael und wir haben ihn auf dem Pub-Crawl kennen gelernt. Erfreut über diese zufällige Begegnung verabredeten wir uns für den Abend. Wir wollten eine der Ruin-Bars Budapests ausprobieren. Das sind Clubs, die in leerstehenden, teilweise zerfallenen Gebäuden (=Ruinen) auf sehr kreative Weise eingerichtet wurden. Nach einem gemeinsamen Abendessen zogen wir also los und wurden in unseren Erwartungen nicht enttäuscht. In der Bar sah es aus wie in einer Filmkulisse zu Alice im Wunderland. Überall standen und hingen verrückte Sachen, kreative Wandbemalungen, und bunte Lichter. In einem Raum stand ein ausgeschlachtetes Auto, das zum Sofa umfunktioniert worden war. In einem anderen hingen überall alte Computerbauteile und wenn man auf manche der Knöpfe und Schalter drückte, leuchtete am anderen Ende des Raumes plötzlich irgendwas auf. Wir schlenderten durch Räume voller Laborequipment, vorbei an einer Badewanne und einem Münzpräge-Automat bis hin zur Bar. Von dort aus ging es dann auf die Tanzfläche unter freiem Himmel und der Abend zog sich bis spät in die Nacht.

Den nächsten Tag verbrachten wir mit absolut unerfolgreicher Straßenmusik (wir wurden schon von anderen Straßenmusikern vorgewarnt, dass die Budapester mit dem Konzept nicht wirklich was anfangen können), ein paar Einkäufen und Karten schreiben.

Dann stand unser Budapest-Highligth auf dem Plan. Der eigentliche Grund, wieso wir hierher gekommen waren, war eine in einem italienischen Waschsalon ausgesprochene Einladung einer ungarischen Familie an uns (siehe Blogeintrag „Konzert im Waschsalon“). Gabor, der Vater, ist ein wahnsinnig offener Mensch, der uns seit unserer Begegnung in Italien auch fleißig auf den sozialen Medien gefolgt ist und sich sehr gefreut hat, als unsere Route aufgrund seiner Einladung dann in Richtung Ungarn ging. Wir verbrachten nur einen Tag mit der Familie, aber es kam uns vor wie ein ganzes wunderschönes Wochenende.

Am Morgen wurden wir von Gabor mit dem Auto aufgesammelt und bekamen eine private Stadtführung der anderen Art. Es war kalt und regnerisch draußen und da der gute Gabor die Stadt samt Straßennetz kennt wie seine Westentasche, gab es einfach eine Stadtrundfahrt. Wir düsten durch den Budapester Verkehr und hielten an den verschiedensten Stellen (vllt. nicht immer ganz park-konform), um dort von einem begeisterten Gabor die Geschichten des Monuments/Gebäudes/Platzes erzählt zu bekommen. Danach ging es zu einem Vorort von Buda, wo wir in einer Konditorei anhielten, in der ich am liebsten alles leer gekauft hätte. Wir haben zwar nicht alles leer gekauft, aber fast :) Ausgerüstet mit einem großen Karton voller Leckereien kamen wir zum Haus der Familie. Ein wunderschönes Haus! Drinnen alles sehr stilvoll und gemütlich eingerichtet und draußen ein riesiger Garten mit einer Terrasse, auf der man wohnen könnte. Bei einer kleinen Führung durchs Haus entdeckte ich dann im Partykeller die Unicum-Flasche.

 Hier eine kurze Hintergrundinfo: Unicum ist ein dunkelbrauner, bitterer Likör in einer dunkelgrünen Flasche mit einem großen Kreuz drauf. Er sieht ziemlich dubios aus und war uns auch schon bekannt, bevor wir nach Ungarn kamen. Bei Krissi und Tobi stand genau so eine Flasche lange Zeit in der Wohnung. Keiner wusste, woher sie gekommen war oder was da genau drin war. Aber sie diente dazu, die Leute zu ärgern, während man versuchte, ihnen den bitteren Likör unterzujubeln. Da wir in der Zwischenzeit ziemlich oft in den Genuss von Unicum gekommen waren, schmeckte er mir irgendwann sogar ziemlich gut. Da war ich unter unseren deutschen Freunden aber wohl die Einzige. Als wir dann nach Ungarn kamen, waren die Regale plötzlich voll mit diesen dubiosen Flaschen und wir lernten, dass unser Leute-ärger-Getränk ein für Ungarn typischer Kräuterlikör ist.


Da stand nun also die Unicum Flasche im Partykeller und weil Gabor meinem Blick wohl aufmerksam gefolgt war, wurde sie prompt mit ins Wohnzimmer genommen. Der arme Flo sah wenig begeistert aus, trank aber tapfer mit. Nach der Unicum-Runde erfuhren wir, dass es noch andere – weniger starke und bittere – Varianten des Likörs gibt. Ein paar Minuten später verschwand der gute Gabor plötzlich und kam dann mit einem breiten Grinsen im Gesicht und den Unicum-Varianten wieder zurück. Es folgte ein spontanes Unicum-Tasting vor dem Mittagessen. Ergebnis: Alle mochten den teuren, milden Unicum mit einer Fruchtnote am Liebsten – bis auf mich. Ich fand den originalen Bitteren am Besten. Das fanden dann sogar die Ungarn seltsam, die an das Zeug eigentlich gewöhnt sind.


Nach dem Tasting gings in die Küche, wo uns ein mehrgängiges, ungarisches Hausmannskost-Menü erwartete. Der Suppeneintopf zur Vorspeise war direkt so gut, dass ich den klassischen Fehler machte, im ersten Gang schon voll rein zu hauen. Aber egal, denn die gefüllten Palatschinken waren mindestens genauso gut und so ein Magen ist ja bekanntlich dehnbar. Danach wurden wir noch mit leckerem Kaffee (für mich, nicht für den Flo) verwöhnt und zu Krönung gabs dann die riesige Packung an Süßgebäck, die wir vorher gekauft hatten. Zum Glück hab ich einen separaten Nachtisch-Magen, denn der andere war schon komplett voll.

Satt und zufrieden unterhielten wir uns noch einige Zeit, bevor es wieder zurück ging, um jetzt die Stadt noch einmal gemeinsam zu Fuß und bei Nacht zu erkunden. Wir sahen das berühmte Parlamentsgebäude, das sich, bestrahlt von warmem Licht, majestätisch in der Donau spiegelte, besuchten ein paar besonders schön beleuchtete Plätze und wurden dann auch noch auf eine Roof-Top-Bar eingeladen, wo es leckere Cocktails bei einem atemberaubenden Ausblick gab. So ging dieser wunderbare Tag dann langsam dem Ende entgegen. Nach einem sehr herzlichen Abschied und dem Angebot, jederzeit wieder willkommen zu sein, trennten sich unsere Wege wieder.


Vielen Dank dir, Gabor, und deiner ganzen Familie, für dieses wunderschöne Erlebnis!


Da es inzwischen schon Mitte Oktober war beschlossen wir, nun schnellstmöglich in Richtung Süden bzw. Griechenland zu ziehen. Das mit dem Süden hat geklappt, das mit dem schnellstmöglich nicht so wirklich, aber das sind andere Geschichten...

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